Karl-Heinz Schreiber

FREI & ECHT

H. Ibrahim Türkdogan, Der Einzige und das Nichts

(In: KULT (17/03) – Das letzte Poesy-Chaoticum der Republik – ISSN 0944-2162 – 9. Jahrgang, S. 47/48)

 

Der Vorsitzende der „Max-Stirner-Gesellschaft“ (Jg. 1960) nimmt sich dieses radikalen Materialisten des 19. Jahrhunderts an, der in vielen Philosophiegeschichten schlichtweg verschwiegen wird. Für Stirner gibt es nicht das ideale Allgemeine, sondern nur das materielle Individuelle. Jeder ist sein eigener Herr &  niemandem sonst unterworfen, die Welt ist Eigentum des Ich. Stirner grenzt sich gegen jeglichen „Gespensterglauben“ ab & akzeptiert nur das endliche, sterbliche Ich. Der Einzelne ist ein Egoist, er lebt im Jetzt & sein oberstes Prinzip ist der Genuß. Gefühle sind spontan & haben einen Tauschwert. Das System hat keine Gewalt über den Einzelnen. Mit solchen anarchischen Maximen paßt Stirner freilich weder in ein moralisches noch in ein heuchlerisches Wertekollektiv. In seinem Buch  „Der Einzige und sein Eigentum“ (1844) distanziert sich Stirner mit dem Satz „Ich hab´ mein´ Sach auf Nichts gestellt“ von allen anderen Philosophen, die eine Transzendenz anerkennen.

Türkdogan versucht in einigen Essays Stirners Gedanken zu ergründen durch Vergleiche mit anderen Denkern. Stirner distanzierte sich von allen „-ismen“, er begreift den Menschen als ein „von Natur aus vollendetes und schöpferisches Wesen.“ Indem Türkdogan im ersten Aufsatz Sartre mit Stirner vergleicht, sieht er in Sartres „Ekel“ wie bei Stirner die Erhaltung des eigenen Ich durch das Hinauswerfen des Fremden (der Gesellschaft). Allerdings endet Sartres Roquentin als leidender Melancholiker, während Stirner sich dem Lachen & den Lüsten hingibt. Der Mensch soll von Erziehung & Moral emanzipiert werden – er ist nämlich von Geburt an echt & frei. Stirner erkennt letztendlich auch keine Vernunft an, er will die Echtheit seines Ich verwirklichen - & koste es die Gesellschaftsordnung. Stirner akzeptiert bestenfalls einen „Verein der Egoisten“ – er vertraut keinem Sozialismus & keiner Demokratie. Er fragt vielmehr: „Wozu Sozialismus? da ich mich selbst habe.“ Sartre bleibt dem Ekel, der Melancholie verhaftet. Der Unterschied ist also womöglich: für Stirner ist Leben Existenz – für Sartre Existentialismus.

Und Stirner will seine Existenz nicht erklären. – er will sie genießen, ähnlich wie eine Pflanze. Er betrachtet sich als seine eigene Gattung – er lacht über die „ismen“-abhängigen Melancholiker. Durch Ideologien, Ideale & Idealismen werden Menschen zu Opfern – die Empfindung des Ekels beweist lediglich, daß der Mensch in die Falle der Entfremdung geraten ist. Stirner definiert logisch: „Jeder, der nicht sich, sondern das Fremde in sich hat, ist ein Besessener.“ Er möchte eben, daß sich jeder Mensch selbst besitzt.

In weiteren Essays wird Stirner u.a. noch verglichen mit Max Scheler, Omar Chajjam & Friedrich Nietzsche. Das Buch ist äußerst spannend zu lesen &  sollte sowohl zur unausweichlichen Rehabilitierung Max Stirners beitragen als auch zur ideologiefreien Lektüre & Reflexion lebensphilosophischer Entwürfe anregen.

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